"Die Legende der Dirne Evlyn Roe"
Bertolt Brecht
Als der Frühling kam und das Meer war blau
da fand sie nimmer Ruh -
Da kam mit dem letzten Boot an Bord
die junge Evlyn Roe.
Sie trug ein härnes Tuch auf dem Leib,
der schöner als irdisch war.
Sie trug kein andres Gold und Geschmeid
als ihr wunderreiches Haar.
"Herr Kapitän, laß mich mit dir ins heilge Land fahrn
Ich muß zu Jeses Christ."
"Du sollst mitfahrn, Weib, weil wir Narrn
und du so herrlich bist."
"Er lohns Euch. Ich bin nur ein arm Weib.
Mein See1 gehört dem Herrn Jesu Christ."
"So gib uns deinen süßen Leib!
Denn der Herr, den du liebst, kann das nimmermehr zahln:
weil er gestorben ist."
Sie fuhren hin in Sonn und Wind
und liebten Evlyn Roe.
Sie aß ihr Brot und trank ihren Wein
und weinte immer dazu.
Sie tanzten nachts. Sie tanzten tags
Sie ließen das Steuern sein.
Evlyn Koe war so scheu und so weich:
Sie waren härter als Stein.
Der Frühling ging. Der Sommer schwand.
Sie lief wohl nachts mit zerfetztem Schuh
von Raa zu Raa und starrte ins Grau
und suchte einen stillen Strand,
die arme Evlyn Roe.
Sie tanzte nachts. Sie tanzte tags.
Da ward sie wie ein Sieches matt.
"Herr Kapitän, wann kommen wir
in des Herrn heilige Stadt?"
Der Kapitän lag in ihrem Schoß
und küßte und lachte dazu:
"Und ist wer schuld, daß wir nie hinkommen:
So ist es Evlyn Roe."
Sie tanzte nachts. Sie tanzte tags.
Da ward sie wie ein Leichnam matt.
Und vom Kapitän bis zum jüngsten Boy
hatten sie alle satt.
Sie trug ein seiden Gewand auf dem Leib,
der siech und voll Schwielen war
und trug auf der entstellten Stirn
ein schmutzzerwühltes Haar.
"Nie seh' ich dich Herr Jesus Christ
mit meinem sündigen Leib.
Du darfst nicht gehn zu einer Hur
und bin ein so arm Weib."
Sie lief wohl lang von Raa zu Raa
und Herz und Fuß tat ihr weh:
Sie ging wohl nachts, wenn's keiner sah,
Sie ging wohl nachts in die See.
Das war im kühlen Januar
Sie schwamm einen weiten Weg hinauf
und erst im März oder im April
brechen die Blüten auf.
Sie ließ sich den dunklen Wellen und die
wuschen sie weiß und rein
Nun wird sie wohl vor dem Kapitän
im heiligen Lande sein.
Als im Frühling sie in den Himmel kam
schlug Petrus die Tür ihr zu;
Gott hat mir gesagt: Ich will nit han
Die Dirne Evlyn Roe.
Doch als sie in die Hölle kam
sie riegeln die Türen zu:
Der Teufel schrie: Ich will nit han
Die fromme Evlyn Roe.
Da ging sie durch Wind und Sternenraum
und wanderte immer zu
Spät abends durchs Feld sah ich sie schon gehn:
Sie wankte oft. Nie blieb sie stehen.
Die arme Evlyn Roe.
Berthold Brecht
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